Eine Nacht im Grandhotel

Wow, ich bin überwältigt von euren Kommentaren. Ich bin total glücklich. Vielen lieben Dank :love:. Ich gebe alles um den Bericht bis Samstag abzuschließen, denn da würde ich dann gerne auch mal in Urlaub fahren. ;)
... Aber einen Mordfall hat es dort wohl wirklich gegeben....
Im Internet hält sich das Gerücht, dass die ehemalige Besitzerin Adéle B. in ihrem Bett ermordet worden sei und seither im Hotel herumspukt. Die Herren von den Denkmalfreunden meinten aber, dass diese Adéle nie das Hotel besessen hat und ganz langweilig im Krankenhaus in Freudenstadt gestorben ist. Der einzige dokumentierte Todesfall war wohl ein Deserteur, den die Franzosen während der Belagerung erschossen haben. Aber das mit der Adéle ist natürlich ein perfektes Marketing. Und natürlich haben auch wir gehorcht und gewartet, ob wir etwas von ihr bemerken.
Vielen Dank für diese Doku und bitte teile uns den Sendetermin mit. !!
Der Beitrag lief bereits im Radio. Ein Link zur Website mit dem Audio ist für den letzten Teil meiner Geschichte geplant. Für die ganz neugierigen kann ich ihn aber auch schon hier bekanntgeben. Wer sich die Spannung erhalten will, muss ja nicht klicken.

Nur zur Info: ich vergesse immer, dass die meisten Links im Text nicht erkennen, weil sie sich nicht deutlich abheben. Ich verwende daher nicht den d-pixx Style für die Anzeige des Forums. Bei mir sind die links blau und somit leicht sichtbar.
Also habe ich oben im Text zwei links jetzt manuell auf Fett, unterstrichen und blau geändert. Also wenn ihr die übersehen habe solltet, ...
 
Es ist halb neun, vielleicht sollten wir mal etwas essen. Die Küche im Hotel hat aber schon geschlossen – seit zirka siebzehn Jahren. Also Pizzataxi. Während wir warten, räume ich mal ein wenig den Kamerarucksack auf. Da ist in den letzten Stunden einiges durcheinandergeraten. Und ich wage schon mal einen schnellen Blick auf die Bilder.
Die American Bar ist mit dem Wichtigsten bestückt und so bedienen wir uns am Rotwein zur Pizza. Preislisten liegen aus, Bezahlung ist auf Vertrauensbasis. Wir machen es uns zum Essen im Festsaal auf 100 Jahre alten Stühlen gemütlich. Um uns herum fliegen drei oder viel Fledermäuse im Kreis. Die Tierchen sind ziemlich schnell. Da ist das mit dem Zählen nicht ganz einfach. Ich bin ja nicht Graf Zahl. Obwohl der ja wieder eine Fledermaus bzw. ein Vampir wäre … egal.

Im Artikel, der für die Internetseite entsteht, soll deutlich werden, dass wir in der Waldlust übernachtet haben. Also werden Bilder benötigt, auf denen man erkennt, dass es Nacht ist. Wir ziehen zu zweit los und testen alle Lichtschalter und Stehlampen. Nicht alles funktioniert. Manchmal muss man eine Glühbirne von einer in die andere Lampe schrauben, damit die gewünschte im Bild auch leuchtet. Bei ein paar Stehlampen sind die Stecker abgeklebt mit einem eindeutigen Hinweis, dass man sie besser nicht benutzen sollte.

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American Bar

An manchen Stellen setzten wir die mitgebrachten LED Lampen ein, um zum Beispiel der Flucht im Bild mehr Tiefe zu geben.

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Blick vom Restaurant in den Wintergarten

Und es werden Varianten mit unterschiedlicher Beleuchtung versucht, eine Taschenlampe sorgt für gezielte Aufhellung, wie hier auf den Sesseln im Vordergrund.

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Beim Treppenhaus betont die Felloni die Aufzugstür, eine Taschenlampe hellt indirekt die untere, linke Ecke auf.

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Bis zur Geisterstunde ist noch Zeit. Werden wir später wohl noch einen Geist zu Gesicht bekommen? Vielleicht haben die auch mal keine Lust zu spuken, wollen am Wochenende frei haben und zeigen sich nicht? Um sicher zu gehen, dass wir auch wirklich ein Gespenst für die Onlineredaktion mitbringen, geistern wir selbst ein wenig herum. Bertram geht hinter die Theke der Rezeption und bewegt sich langsam während der knapp zwei Sekunden Belichtungszeit.

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Schließlich schaue ich noch raus, ob das Hotel beleuchtet wird. Auf die Eingangsseite ist eine quietsch blaue Lampe gerichtet. Wirklich schön ist das nicht. Zudem wird das Licht teilweise von Ästen abgeschattet, so dass das Schild „Schloßhotel Waldlust“ nicht zu sehen ist. Aber ich habe sechs Sekunden Belichtungszeit, um die dunklen Stellen mit der Taschenlampe auszuleuchten. Weil das Ergebnis aber so dermaßen blau ist, dass ich mir nicht sicher bin, ob sich das im RAW korrigieren lässt, ändere ich den Weißabgleich manuell auf 10000 Kelvin. (Es hätte aber im RAW auch funktioniert, wie ich jetzt weiß.)

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Die Ostseite des Gebäudes ist aber gänzlich unbeleuchtet. Da reizt es mich, eine „Nacht für Tag“ Aufnahme zu machen. Also so lange zu belichten, dass man das Restlicht der Nacht für eine Tagaufnahme halten kann. Selbstverständlich ist an diesem Tag, wie könnte es anders sein, Neumond und damit stockfinster. Und von der Straßenbeleuchtung hinter und unter mir reicht nicht viel bis zum Haus. Ich versuche es trotzdem. Es war dabei so dunkel, dass ich für den Autofokus mit der Taschenlampe einen hellen Punkt erzeugen musste. Das Ergebnis überzeugt mich aber nicht. Nach vier Minuten bei ISO 800 und Blende 5,6 ist dies das Ergebnis. Die von innen beleuchteten Fenster habe ich allerdings durch die einer dunkleren Belichtungsvariante ersetzt.

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Zum Abschluss versuche ich noch ein Bild vom Kronleuchter, bei dem die Kamera zentral unter ihm auf dem Boden liegt. Dazu verbinde ich die Kamera mit dem Smartphone und kontrolliere dort das Bild. So kann ich die Position halbwegs ordentlich einrichten und muss nicht raten. Auch hier überzeugt mich das Ergebnis nicht. Aber wenigstens erwische ich aus Versehen eine Fledermaus 😊.

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Wir genehmigen uns gegen 0 Uhr noch einen Gin Lemon in der American Bar (weil es kein Tonic gab) und horchen zur Geisterstunde in den Raum, ob sich etwas tut. Es will sich aber kein Gespenst zu uns setzen und so brechen wir um halb zwei auf in unsere Suite im zweiten Stock.

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Das Wetter ist für morgen nicht vielversprechend, ein schöner Sonnenaufgang ist nicht zu erwarten. Also klingelt der Wecker erst um sieben Uhr dreißig.
 
Vielleicht war das, was ihr für Fledermäuse gehalten habt, ein Geist!:unsure:
Ein schöner Bericht, der die Spannung auf eine Fortsetzung erhöht!:love:
 
Die Zimmer für Übernachtungsgäste sind schön gestaltet und mit Liebe zum Detail dekoriert. Das habe ich in manchem Urlaubshotel auch schon schlichter getroffen. Eine der Suiten wurde dafür von den Denkmalfreunden hergerichtet. Sie besteht aus drei Zimmern mit je einem Doppelbett, verbunden über eine Durchgangstür oder über den verglasten Balkon. Die Gäste teilen sich das zur Suite gehörende Bad. Es ist das einzige Badezimmer mit Aufputz-Wasserleitungen, das ich auf meiner Tour durch das Hotel gesehen habe. Vermutlich war das der einfachere Weg, ein einzelnes Badezimmer in einen funktionsfähigen Zustand zu versetzen.

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Hier durfte ich übernachten…

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…und hier der Kollege

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Verbunden über den gemeinsamen Balkon

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Das Bad wird geteilt

Zum Frühstück gibt es nur einen Kaffee. Für mehr Abwechslung müsste man zum Bäcker fahren. Weil ich noch viel vorhabe, spare ich mir das. Die ganzen Prachträume im Erdgeschoss wollen noch fotografiert werden, das wird dauern. (Die Bilder von diesen Räumen am Anfang des Berichts sind alle erst am zweiten Tag entstanden.) Aber als erstes ist ein marodes Sofa in einem verfallenen Erker dran, auf das uns Herr Lammel gestern aufmerksam gemacht hat. Es steht in einem etwas versteckten Salon, neben dem Festsaal und erfüllt alle Wünsche der Lost Place Fans.

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Die Produzenten eines Musikvideos von Vanessa Mai und Joel Brandenstein haben ebenfalls an dieser maroden Stimmung gefallen gefunden. 2020 waren vor allem das Sofa aber auch die American Bar und der Festsaal die Kulisse für das Video von „Der Himmel reißt auf“.

Nachdem gestern viele Raumtotalen entstanden sind, muss ich heute auch auf Details achten. Überall gibt es Spannendes zu entdecken. Man kann sich schnell verlieren in den unzähligen Motiven.

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Anfangs arbeite ich wieder mit Stativ, merke aber bald, dass das heute zu lange dauert. Eigentlich sollte ich so um zehn oder spätestens um elf Uhr verschwinden. Das wird nix. Zu viele Motive habe ich noch im Kopf. Also weg vom Stativ (mit Ausnahmen) und dynamischer fotografieren. Die ISO muss dann eben auf 800. Das ist rauscharm genug.
Herr Lammel von den Denkmalfreunden ist aber auch keine Hilfe, um schneller fertig zu werden. Er kommt so gegen neun, um die Waldlust für die nächsten Gäste vorzubereiten, seine Frau kümmert sich um die Suite. „Waren sie auch in der Zwitscherstube?“ fragt er. Nein, war ich nicht. Was ist das? Nun, in der Zwitscherstube kann (konnte) man einen zwitschern. Es war das Restaurant für das einfache Volk und befand sich Souterrain. Mit eigenem Eingang, so dass kein Kontakt zu den vornehmen Herrschaften einen Stock höher zustande kam. Hier stehen einige alte Möbel scheinbar unsortiert im Raum, eine Sitzbank an der Wand ist noch gut erhalten.

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Und ich werde weiter von meinen ursprünglichen Plänen abgehalten. Ich soll doch auch noch in das – ich glaube, er sagte Nähzimmer – neben der Zwitscherstube gehen. Dort entdecke ich zunächst Berge von alten Stoffen und Kleidungsstücken, ein paar Stühle und ein kleines Lampenarchiv.

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Man muss dann aber wirklich weiter vordringen, neugierig in jeden Raum gehen und um jede Ecke schauen, egal wie gruselig das sein mag. Sonst wäre mir die wie ein Folterinstrument wirkende Massageliege entgangen. Eigentlich völlig harmlos aber in der Umgebung dann doch ein Moment zum Schaudern, den ich ohne den Tipp von Herrn Lammel vermutlich verpasst hätte. (Nur zur Orientierung, direkt darüber steht das Sofa von Frau Mai.)

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Jetzt aber endlich zu den Prachträumen. Und diesmal nicht nur die Totalen, sondern auch Ausschnitte und Teilansichten oder auch Details. (Und es entstehen eben auch viele Bilder, die schon vom Anfang des Textes bekannt sind.)

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Ich merke aber auch, dass ich ohne Stativ schludriger arbeite. Und ich bin auch etwas getrieben, ich muss ja irgendwann mal fertig werden. Insgesamt produziere ich erstaunlich wenig Ausschuss. Den meisten davon aber in den nächsten Stunden.
 
Und dann habe ich noch ein letztes Motiv vom vielleicht skurrilsten Raum im Kopf. Das muss ich zum Abschluss noch umsetzen. Ein Raum im ersten Stock, der Weg dorthin von einer hüfthohen Barrikade eigentlich versperrt. Entdeckt heute Morgen, bei einem schnellen Rundgang durch die Zimmer, für die es gestern bereits zu dunkel war.

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Ein letzter, schneller Gang durch die Flure. Kräftiger Regen lärmt auf dem Dach.

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Im dunklen Treppenhaus höre ich es an mehreren Stellen deutlich tropfen. Nach gehör laufe ich um die Pfützen herum.

Um 15 Uhr habe ich die Ausrüstung wieder im Auto verstaut und bin abfahrbereit. Um 16 Uhr kommen die nächsten Gäste. Herr Lammel bekommt noch eine Spende für den Verein, ich durfte schließlich ohne Murren deutlich überziehen. Zudem bin ich so begeistert vom Grandhotel Waldlust und ich hatte unglaublich viel Spaß in den letzten 25 Stunden, von denen ich rund 15 fotografiert habe und 200 verwertbare Bilder entstanden sind. Ich würde, ohne zu zögern, ein weiteres Mal eine Nacht dort verbringen und dabei ganz sicher neue Motive entdecken. Einige weiß ich auch schon, die ich einfach nicht mehr geschafft habe. Da gibt es das kleine Treppenhaus im hinteren Teil oder das alte Treppenhaus mit dem abgelaufenen Linoleum, der nur noch am Rand sein Muster zeigt, eigens für die Bediensteten errichtet, die keinen Kontakt zu den Hotelgästen haben sollten. Den vollgestopften Dachboden habe ich auch komplett auslassen müssen, wie auch die am Ende einer engen, steilen Treppe stehende Zisterne, ohne die es kein fließendes Wasser in den Zimmern gegeben hätte. Und dann erzählt Herr Lammel noch von den Küchenkatakomben. Die habe ich noch nicht mal gesehen.

Das Grandhotel Waldlust sticht unter den Lost Places hervor. Es ist die Mischung aus alt und verfallen, gleichzeitig aber in Teilen gut erhalten, die es so besonders macht. Und dass man mittendrin übernachten kann und das ganze Haus für sich allein hat, ist vielleicht sogar einzigartig.

Überglücklich fahre ich nach Hause und bin in Gedanken bei einem weiteren Lost Place, an dem ich schon lange fotografieren möchte, der Eiermann Campus in Stuttgart, der seit 2009 leer steht und an dem ich jeden Tag vorbeifahre. Wäre da nicht das Problem mit dem faulen Fotografen, der in mir selig schlummert. Mal sehen, wer das für mich organisiert, damit ich mich wieder an etwas festfressen kann.

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Link zum Onlineartikel, in dem auch der Hörfunkbeitrag des Kollegen enthalten ist:
https://www.swr.de/swraktuell/baden...en/eine-nacht-im-grandhotel-waldlust-100.html

Und wer selbst mal im Grandhotel übernachten möchte, hier gibt es Infos:
https://waldlust-denkmal.de/
 
Absolut gut Fotos und ein hervorragender Bericht. Wenn ich den jetzt nicht schon gelesen hätte, würde ich den Bildband kaufen.
Vielen Dank Jochen für deine Arbeit.
 
Klasse Bericht und eindrucksvolle Fotos. Das kann ich nachvollziehen, das man sich dort festfotografieren kann. Schade um dieses schöne Haus, aber gut, dass es Enthusiasten gibt, die den derzeitigen Zustand erhalten. (y)
 
Vielen Dank für eure Rückmeldungen. Ich freue mich sehr, wenn ihr ein wenig Spaß hatte mit meinem Erfahrungsbericht. Ich kann die Übernachtung wirklich nur empfehlen oder auch die Tour für Fotografen. Nur die einfach Hotelführung ist für uns "Fotomanen" nicht geeignet, weil fotografieren nicht erwünscht ist.

Im Momet darf ich Urlaub in Andalusien machen und befinde mich gerade so gar nicht in einem Grandhotel. Aber dafür ist dieses ehemalige Bauernhaus sowas von gemütlich und detailverliebt. Das ist ein Ort zum Zurückkommen. Und ganz wichtig - manche werden sich erinnern, warum mir das so wichtig ist - das Dinner-Menü der Hotel-Besitzerin und Hobbyköchin ist sensationell.
 
Vielen Dank für eure Rückmeldungen. Ich freue mich sehr, wenn ihr ein wenig Spaß hatte mit meinem Erfahrungsbericht. Ich kann die Übernachtung wirklich nur empfehlen oder auch die Tour für Fotografen. Nur die einfach Hotelführung ist für uns "Fotomanen" nicht geeignet, weil fotografieren nicht erwünscht ist.

Im Momet darf ich Urlaub in Andalusien machen und befinde mich gerade so gar nicht in einem Grandhotel. Aber dafür ist dieses ehemalige Bauernhaus sowas von gemütlich und detailverliebt. Das ist ein Ort zum Zurückkommen. Und ganz wichtig - manche werden sich erinnern, warum mir das so wichtig ist - das Dinner-Menü der Hotel-Besitzerin und Hobbyköchin ist sensationell.
Es muss nicht immer ein Grandhotel sein - Hauptsache die Küche ist gut!:love:
Wünsche dir und deiner Frau einen erholsamen Aufenthalt mit tollen Bildern.(y)
 
Jetzt erstmal nur Daumen hoch nach kurzer Durchsicht - da muss ich mir etwas mehr Zeit für nehmen und es genauer betrachten und lesen!
Das hat es verdient!!
 
Klasse auch der zweite Teil mit wieder tollen Fotos. Danke fürs Mitnehmen. Einen schönen Urlaub in Andalusien.
 
Vielleicht erinnert ihr euch, einige der Bilder zeigen eine Filmkulisse des Films Franky Five Star. Jetzt gibt es den ersten Trailer zum Film, der aber nur zum Teil in der Waldlust gedreht wurde. Vielleicht erkennt ihr ja ein paar Motive.
Einen Kino Starttermin konnte ich noch nicht finden.
Hier geht es zum Trailer.
 

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