Marsyas in der New Tate Gallery

pklein

Well-known member
Die >>New Tate Gallery ist in einem ehemaligen Kraftwerk untergebracht, das am südlichen Themseufer liegt und durch die Millenniumsbrücke mit St. Paul's Cathedral verbunden ist.

Die Lichtverhältnisse waren natürlich grottenschlecht, aber die kleine Kamera hat das Beste draus gemacht. Es ist auf jeden Fall eine kleine Reportage, die etwas zeigt, was nicht mehr ist. Es gibt im Internet noch weitere Aufnahmen, die zeigen, wie schwierig es ist, dieses Riesenobjekt fotografisch darzustellen. Ein einzelnes Foto tut es hier nicht.

Das ist Absicht, wie der >>Bericht über die Entstehungsgeschichte deutlich macht:

‘It is jammed into the building so as to not allow anything but a partial view. The work must retain its mystery and never reveal its plan’: Anish Kapoor
"Es ist so in das Gebäude eingepfercht, dass nur Teilsichten möglich sind. Das Werk muss sein sein Geheimnis bewahren und darf niemals seinen Plan preisgeben": Anish Kapoor

Der zentrale Raum ist der ehemalige Turbinenraum. Er wird nicht für die permanente Ausstellung genutzt, sondern für vorübergehende Ausstellungen. Im Frühjahr 2003 war dort die Installation >>Marsyas untergebracht, die das erste Mal das gesamte Areal ausfüllte.

Das erste Foto zeigt die Ansicht des Eingangsbereichs von innen und macht die Dimensionen dieses Werks anschaulich.

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Das zweite Foto zeigt den Blick nach oben und gibt eine Ahnung davon, wie die Struktur sich im Raum entwickelt.

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Das nächste Bild zeigt die Fortsetzung zum mittleren Teil, der eine Öffnung nach unten hat und eine Fortsetzung in den hinteren Teil des Raumes. Der hintere Teil ist ähnlich gestaltet wie der vordere Teil und schließt wie der vordere mit einer senkrechten Öffnung ab.

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Die mittlere Öffnung schwebt leicht oberhalb der Besucher über einer Plattform, die vermutlich eigens für diese Installation eingerichtet wurde und links an den umlaufenden Flur anschließt, der die Räume der mittleren Etage eröffnet. Das nächste Bild zeigt, dass die Plattform rechts keine Fortsetzung hat.

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Blick von der ersten Etage auf den Flur, die Plattform und die untere Etage.


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Der Blick auf die Plattform von unten, der noch einmal die gewaltigen Dimensionen deutlich macht und die Stützen der Plattform zeigt, die ihrerseits gewaltig ist. Die 150 m lange, 10 Stockwerke hohe Skulptur >>Marsyas wurde erschaffen von dem indisch-britischen Bildhauer >>Sir Anish Kapoor unter wesentlicher Beteiligung des renommierten Ingenieurbüros >>Arup unter der Leitung des Sri Lanka-britischen >>Cecil Balmond, Designer, Künstler, Architekt, Ingenieur und Schriftsteller.

Die Skulptur besteht aus drei hohlen Stahlringen, die zusammen 50 t wiegen und durch 1,8 m breite und 5 km lange, 3500 m² flexible Kunststoffhaut, die aus 3 km Streifen zusammengenäht wurden, zusammengehalten werden, wie aus dem Bericht über die Entstehungsgeschichte hervorgeht. Der zeitliche Rahmen war sehr eng gesteckt, 2 Stunden vor der offiziellen Präsentation vor geladenen Gästen war das Kunstwerk vollendet.

Sehr beeindruckend. Und? Was soll das? Ist es eine gigantische technische Spielerei? So sah es für mich aus, eine rein ästhetische Konstruktion, die zweifellos begeisternd genug ist und jeden Vergleich mit geometrisierenden abstrakten Großskulpturen, wie sie überall herumstehen, aushält. Der Bildhauer hält sich bezüglich einer Deutung bewusst zurück, wie das Eingangszitat nachdrücklich belegt. Der Titel gibt jedoch einen Hinweis.

Man ahnt es schon, er spielt auf die griechische Mythologie an. >>Marsyas wurde unter anderem zur Strafe für einen Frevel vom Gott >>Apollon >>gehäutet - die Assoziation der extrem dehnbaren und gedehnten Kunststoffhaut mit der Haut des Marsyas erklärt wohl den Titel.

Das Enthäuten, auch Häuten oder Schinden genannt, war eine von der Antike bis in die Neuzeit praktizierte Hinrichtungsmethode, der eine äußerst qualvolle Folter vorausgeht. Dabei wurde einem Menschen mit einem Messer die Haut vom Körper abgezogen. Das Enthäuten bzw. das Abreißen der Kopfhaut (Skalpieren) gilt bis in die Neuzeit bei vielen Kulturen als Triumph über den Gegner und individuelle Trophäe. (Zitat Wikipedia)

Noch im Zweiten Weltkrieg kam es in Zentraleuropa zu Häutungen an Geistlichen und Zivilpersonen. Die Farbe der Skulptur ist einzigartig und speziell für diesen Zweck hergestellt worden; sie soll vermutlich eine Assoziation zu Blut herstellen, denn beim Abziehen der Haut (>>Schinden) fließt enorm viel Blut.

Die Assoziation zu dieser Praxis wird aus der Skulptur selbst nicht deutlich, sondern muss aus dem Titel erschlossen werden. Den meisten Besuchern wird sich dieser Zusammenhang nicht erschließen. Auch ich bin erst durch diesen Artikel dazu gekommen, mich näher damit zu befassen.

Es ist freilich die Frage, ob der Titel nicht etwas nachträglich Hinzugefügtes ist. Der >>Bericht über die Entstehungsgeschichte redet lediglich von den technischen Schwierigkeiten und ästhetischen Herausforderungen. Er verliert kein Wort über die inhaltliche Dimension des Titels. Für den Bildhauer ist das Ganze eine Frage von Bewältigung des Raums:

‘To tackle the verticality of the space one has to paradoxically take on its entire length’: Anish Kapoor

‘Um die Vertikalität des Raums zu bewältigen, muss man sich paradoxerweise seiner ganze Länge annehmen': Anish Kapoor

Der Verweis auf Marsyas steht irgendwie ganz allein und ohne Beziehung zum Kunstwerk.

The installation’s title is from Greek mythology: Marsyas was a satyr who, having lost a musical contest with Apollo, was flayed alive by the god.

Der Titel der Installation stammt aus der griechischen Mythologie: Marsyas war ein Satyr, der einen musikalischen Wettstreit mit Apollo verlor und von diesem bei lebendigem Leib gehäutet wurde.

Die Installation wurde als Teil eines längerfristigen Engagements unterstützt von der Firma Unilever, deren Firmensitz am anderen Ufer der Themse liegt.
 

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Gigantisch und sehr beeindruckend! Ich wünschte allerdings, die erschreckend gruselige Assoziation durch die Namensgebung ließe sich wieder loswerden. Dieses sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn großartige Kunstwerk kann für sich stehen und braucht darüber hinaus nichts Schockierendes, denn allein die Auseinandersetzung damit im Raum vermag zu überwältigen und auch zu erdrücken. Spontan hätte ich eher an eine riesige Posaune Jerichos gedacht - aufrüttelnd und verstörend genug.

Danke für das Teilen dieser besonderen Dokumentation, die den gewaltigen Eindruck auf die Galeriebesucher nachvollziehbar macht, die dieses vergängliche Kunstwerk erleben und auf sich wirken lassen durften. (y) 👏

LG Greta
 
Danke für das Teilen dieser besonderen Dokumentation, die den gewaltigen Eindruck auf die Galeriebesucher nachvollziehbar macht, die dieses vergängliche Kunstwerk erleben und auf sich wirken lassen durften. (y) 👏

Liebe Greta, Deine Reaktion zeigt mir, dass ich nicht nur für mich das Erlebnis noch mal wieder aufleben lassen konnte, sondern auch andere daran teilhaben lassen kann. So war das gedacht.

Ich wünschte allerdings, die erschreckend gruselige Assoziation durch die Namensgebung ließe sich wieder loswerden.

Bezüglich der Assoziation durch den Titel bin ich auch sehr zwiegespalten. Immerhin hat der Künstler lediglich einen ganz dezenten Hinweis gegeben, dem die meisten nicht nachgehen werden. Ich bin ganz froh, dass ich es getan habe, denn die Erkenntnis, dass Menschen jederzeit solche schrecklichen Dinge tun können, wird dadurch konkret.

Das Kunstwerk bekommt dadurch eine Dimension, die etwas aufzeigt, ohne es nachzustellen oder direkt zu zeigen. Wenn ich diesen Sachverhalt unterschlagen hätte, wäre ich mir unredlich vorgekommen. Aber glücklicherweise lässt uns unsere menschliche Natur alles Schreckliche bald vergessen.
 
Nachdem ich deine Fragen und Zweifel im anderen Thread gelesen habe muss ich sagen, dass deine Bildergeschichte doch gut geworden ist. Sehr informativ und auch der Aufbau mit Text und Bild ist gelungen.
Aber trotz deiner Beschreibungen ist es für mich schwierig dem Objekt zu folgen, d. h. es ist nicht einfach die einzelnen Bilder gedanklich so zusammenzubasteln, dass man sich das Werk vorstellen kann. Aber wenn ich deine Beschreibung richtig verstanden habe, ist das durchaus Absicht der Künstler gewesen, das man es nicht so einfach erfassen kann.
Allerdings finde ich, dass die technische Qualität der Bilder nicht beim Verständnis des Ortes weiterhilft. Der Kontrast ist doch sehr stark, mit überstrahlendem Weiß und zugelaufenen Schatten. Ich weiß nicht, ob da trotz kleiner Kamera in der Nachbearbeitung nicht doch noch was drin gewesen wäre.
Und noch ein kleiner Tipp für deine nächste Geschichte. Du hast einige Links in deinen Text eingebaut. Alle die das d-pixx Design der Webseite verwenden (dürften die meisten sein) erkennen diese kaum, weil sie sich kaum vom Text unterscheiden. Ich würde empfehlen, dass du die Links selbst einfärbst. Mit den Gestaltungstools im Textfenster geht das ganz gut. Dann werden sie nicht so leicht übersehen.
 
Nachdem ich deine Fragen und Zweifel im anderen Thread gelesen habe muss ich sagen, dass deine Bildergeschichte doch gut geworden ist. Sehr informativ und auch der Aufbau mit Text und Bild ist gelungen.

Danke sehr, es ist ja nicht irgendjemand, der das sagt.

Aber trotz deiner Beschreibungen ist es für mich schwierig dem Objekt zu folgen, d. h. es ist nicht einfach die einzelnen Bilder gedanklich so zusammenzubasteln, dass man sich das Werk vorstellen kann. Aber wenn ich deine Beschreibung richtig verstanden habe, ist das durchaus Absicht der Künstler gewesen, das man es nicht so einfach erfassen kann.

Einerseits, andererseits: ich hätte es schon etwas deutlicher machen können, wenn ich mehr Fotos gemacht hätte. Damals habe ich natürlich nicht an einen solchen Artikel gedacht. So wird nicht richtig deutlich, dass das Objekt absolut symmetrisch ist. Ich habe die "Trompete" vorne gezeigt, wie sie über allem schwebt, hinten ist diese Verbindung der großen Öffnungen nur aus starker Verkürzung zu sehen. Diese Symmetrie ist in meinen Text ganz untergegangen. Das liegt vermutlich daran, dass ich selbst diesen Teil der Skulptur nicht abgeschritten habe, ich bin im hinteren Teil des riesigen Raumes nicht gewesen.

Allerdings finde ich, dass die technische Qualität der Bilder nicht beim Verständnis des Ortes weiterhilft. Der Kontrast ist doch sehr stark, mit überstrahlendem Weiß und zugelaufenen Schatten. Ich weiß nicht, ob da trotz kleiner Kamera in der Nachbearbeitung nicht doch noch was drin gewesen wäre.

Das ist sicherlich richtig. In der Bildbearbeitung bin ich einfach sehr schwach und habe nicht viel Erfahrung.

Und noch ein kleiner Tipp für deine nächste Geschichte. Du hast einige Links in deinen Text eingebaut. Alle die das d-pixx Design der Webseite verwenden (dürften die meisten sein) erkennen diese kaum, weil sie sich kaum vom Text unterscheiden. Ich würde empfehlen, dass du die Links selbst einfärbst. Mit den Gestaltungstools im Textfenster geht das ganz gut. Dann werden sie nicht so leicht übersehen.

Ja, das ist sinnvoll und kann leicht nachgebessert werden. Vielen Dank für den Tipp.
 
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